Hin und wieder sehe ich, wie Yogalehrer und Studios für ihre Klassen mit Slogans wie “Yoga zum Abnehmen” werben. Kein Wunder! Sind doch gerade so viele Yogis - ganze Instagram-Profile bauen darauf ihre Followerschaft auf - unglaublich rank und schlank und definiert. Diese schönen Menschen müssen dank Yoga zu dieser Figur gekommen sein - so suggerieren die Bilder und Posts.
Kein Zweifel! Yoga tut gut. Aus eigener Erfahrung und aus mit meiner Yoga-Community geteilter Erfahrung hilft Yoga dabei, eine positive Beziehung zum eigenen Körper aufzubauen. Man lernt, den Fokus nach innen zu richten und sich weniger auf das äussere Erscheinungsbild zu konzentrieren. Durch Yoga löst man körperliche und emotionale Verspannungen, man beginnt, sich wieder wohl in der eigenen Haut zu fühlen. Yoga verhilft dem Praktizierenden ausserdem zu mehr Gesundheit: Die Durchblutung wird gefördert, die Atmung vertieft, Gelenke mobilisiert, Muskeln aktiviert usw. Die kreativen und abwechslungsreichen Bewegungen regen das Gehirn an und verhelfen zu mehr Konzentration und Ausgeglichenheit. Viele berichten, dass sie an Tagen, an denen sie Yoga gemacht haben, besser schlafen.
Insofern ist Yoga absolut empfehlenswert für Menschen, die abnehmen möchten. Und für jeden anderen auch. ABER: Nicht jeder wird mit Yoga zu seiner Traumfigur finden!
Erst einmal kommt es auf den Yogastil an und die Häufigkeit, mit der praktiziert wird. Meditatives Yoga wie beispielsweise Yin und Kundalini Yoga tragen kaum zur Gewichtsabnahme bei. Ashtanga, Vinyasa, Power und Hot Yoga können aber durchaus schweisstreibend genug sein, um die Kilos purzeln zu lassen, vor allem wenn man 3-6 Mal pro Woche für etwa 60-90 Minuten pro Session auf der Matte steht.
Wem es aber ausschliesslich darum geht, schnellstmöglich viel Fettmasse zu reduzieren, der wendet sich besser dem Krafttraining und HIIT zu. Diese Bewegungsformen - am besten mit Yoga zum Ausgleich kombiniert - bauen Muskulatur gezielt auf, steigern den Kalorienbedarf und fördern die Fettverbrennung.
Weiter spielt beim Abnehmen immer auch die Ernährung eine Rolle: Wer sich hauptsächlich von massenhaft Junk Food ernährt anstatt mal in den sauren Apfel zu beissen, der tut sich mit Sport zwar was Gutes (Sport ist nicht nur fürs ein gesundes Körpergewicht wichtig), aber wird dennoch kaum abnehmen, geschweige denn auf lange Dauer gesund bleiben.
Dass Trainingsintensität, Trainingsfrequenz (und Erholungsphase) wie auch Ernährung eine grosse Rolle bei der Gewichtskontrolle und allgemein für die Gesundheit spielen, erstaunt wohl kaum. Dass jemand, der übergewichtig ist und sich bis anhin kaum bewegt hat, abnimmt, wenn er mit Yoga beginnt, ist einfach zu erklären. Es hätte auch Walking sein können. Oder Schwimmen. Oder Tanzen. Hauptsache regelmässige Bewegung. Wer Spass an Yoga hat, wird dabei bleiben und es in seinen Alltag integrieren. Das ist das Wichtigste: Eine Bewegungsform finden, bei der man bleiben kann. Denn wer keine Freude an Bewegung findet, hört über kurz oder lang wieder damit auf - und nimmt wieder zu.
Trotzdem kann Abnehmen nicht lediglich auf Bewegung und Ernährung reduziert werden. Gesunder, erholsamer Schlaf spielt eine weitere Rolle. Genügend Wasser zu trinken ebenfalls. Manche Nahrungsergänzungsmittel mögen helfen oder gar dringend nötig sein - aber gerade mir persönlich ist in den letzten Jahren einiges klar geworden: Genetik (Körpertypen) spielen eine grosse Rolle, wie unsere Körper arbeiten und welche Figur wir haben.
Dazu ein Beispiel aus dem Alltag, das wir wahrscheinlich alle kennen: Da ist Karl. Er ist 29 Jahre alt. Karl isst zum Frühstück seine Croissants mit Butter und Käse, manchmal auch mit dem Schokoriegel drin, manchmal ein Birchermüsli mit Joghurt und Früchten. Zum “Znüni” folgt ein weiterer Schokoriegel mit der dritten Tasse Kaffee, Mittagessen schnell ein Kebab, weil er so grossen Hunger hat und es schnell gehen muss, nachmittags ein Stück Kuchen oder ein Energieriegel, Abendessen irgendwo mit Freunden, vielleicht ein Salat mit einer Pizza, manchmal noch ein Glacé. Er nimmt jeden Tag das Fahrrad zur Arbeit, so etwa 30 Minuten. Karl ist super schlank. Er hat nie einen Gedanken an sein Gewicht oder sein Aussehen verschwendet. Er trägt die gleiche Kleidergrösse wie mit 20, als er aufhörte zu wachsen. Er kann sich nicht erinnern, jemals kein Sixpack gehabt zu haben.
Und dann ist da Larissa, 35 Jahre alt. Sie steht morgens auf und isst nichts bis mittags, wo sie sich dann einen Salat mit einem Stück Vollkornbrot gönnt, nachmittags isst sie dann einen Apfel mit einer Handvoll Mandeln, abends gibt’s Hühnerbrust mit gedämpftem Brokkoli und allenfalls noch etwas Reis, gefolgt von einer gepufften Reiswaffel mit dünnem dunklen Schokoladenüberzug als Dessert. Larissa geht einmal die Woche mit einer Freundin ins “Bauch-Beine-Po-Training”, jeden zweiten Tag bis zu einer Stunde joggen und jeden Freitag ins Yoga. Trotz allem kommt sie seit Jahren nicht mehr in ihre Hosen der Grösse S rein, Baucheinziehen vor dem Spiegel kaschiert schon längst nichts mehr und in Leggings fühlt sie sich unwohl, weil jeder ihre Cellulite und ihre “Reiterhosen” sehen kann. Sie ist bei Weitem nicht übergewichtig, aber sie weiss auch, dass sie nur schon beim Geruch von Schokolade zuzunehmen scheint - so wie man vom Küssen schwanger wird.
Zwei nicht einmal allzu extreme Beispiele, was Körpertypen und Genetik für eine Rolle in unserem Metabolismus, unserer Körperkomposition und Erscheinungsbild spielen. Geschlecht und Alter sind weitere wichtige Faktoren. Frauenkörper sind mehr darauf ausgelegt, Energie, also Fett, zu speichern als Männer. Deren Muskeln bauen leicht auf und verbrennen gerne und viel Energie. Nur schon deshalb fällt es Männern leichter durch Sport innerhalb kurzer Zeit abzunehmen.
Wer ausserdem die Anlagen zu Reiterhosen und Cellulite vererbt bekommen hat, wird diese kaum wegtrainieren noch weghungern können, ohne seine Gesundheit zu gefährden. Das soll nicht heissen, dass man die ganze Verantwortung für sein Erscheinungsbild auf die Gene schieben kann - ein gesunder Lebensstil mit bewusster Ernährung und regelmässiger Bewegung werden einen unabhängig vom Gewicht attraktiver aussehen lassen, aber vor allem die Lebensqualität und das Selbstbewusstsein steigern. Aber man kann aufhören, sich mit unrealistischen Erwartungen zu plagen: Kein Yoga der Welt macht aus einem Danny Devito einen Chris Hemsworth, noch aus einer Melissa McCarthy eine Angelina Jolie.
https://www.healthline.com/nutrition/9-fixes-for-weight-hormones#5.-Estrogen
https://www.healthline.com/health-news/heres-how-much-your-genes-impact-your-ability-to-lose-weight
Wie immer, sehr interessante Biitrag!
So ein schön geschriebener und ehrlicher Text, so was müsste die Welt öfters hören!